Wie mich vier Monate Jobsuche in eine Quarterlife Crisis katapultiert haben

Wikipedia definiert die Quarterlife Crisis als eine „psychische Krise, die als Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt nach dem „Erwachsenwerden“ in etwa im Alter zwischen 21 und 29 auftritt, also in der Endphase des ersten Lebensviertels, dem ‚Übergang von der akademischen Welt in die reale Arbeitswelt‘.“[1] Ich bin 25 Jahre alt, mehr als zwei Jahre aus dem Studium raus und dennoch tief verwurzelt zwischen der ‚akademischen Welt‘ und der ‚realen Arbeitswelt‘ – denn, surprise, wenn man als Wissenschaftler*in an einer Universität arbeitet, dann ist die ‚akademische‘ und ‚reale‘ Arbeitswelt ein und dieselbe. Seit Anfang 2023 bin ich auf Jobsuche, seit Oktober 2023 dazu arbeitslos. Was bei Wissenschaftler*innen ja bekanntlich nicht heißt, dass man keine Arbeit hat – und auch so hält einen das ständige Bewerben ganz schön auf Trab. Jeder Tag sieht bei mir anders aus und doch hat sich in den letzten vier Monaten eine halbwegs stabile Routine etabliert: täglich durchforste ich einschlägige Stellenbörsen, also die, die für meine beruflichen Vorstellungen relevant sind, schreibe gegebenenfalls Bewerbungen, lese und schreibe E-Mails, tausche mich mit Kolleg*innen aus und versuche nebenher, irgendwie die Dissertation voranzubringen, die – wer hätte das gedacht – auf dem letzten Platz meiner Prioritätenliste gelandet ist. So absurde Dinge wie Familie, Freund*innen und Hobbys müssen in die Zwischenräume gequetscht werden. Mit jeder neuen Bewerbung, jedem Vorstellungsgespräch und jeder Absage wirbelt mein Kopf durch ein Chaos aus Hoffnung, Frust, Erschöpfung und Enttäuschung – und das im Wochenrhythmus. Freund*innen fragen mich meist schon gar nicht mehr, wie es mir geht, sondern nach dem Stand meiner Bewerbungen und Familienmitglieder rufen besorgt an, um sich zu erkundigen, ob sich denn jetzt „endlich mal jemand gemeldet hat“. Das ist lieb gemeint, führt aber im Endeffekt oft zu noch mehr Druck und dazu, dass ich wieder und wieder erzählen muss, dass Jobsuche kein Kinderspiel ist (vor allem mental) und das, Fachkräftemangel zum Trotz, viele Institutionen es offenbar nicht nötig haben, irgendeine Form von Rückmeldung zu schicken oder die Stelle nach Monaten einfach kommentarlos neu ausschreiben.

Diese letzten vier Monate voller Unsicherheit, Hoffnung und Pessimismus kommen mir vor, als wären es mindestens zehn gewesen. Obwohl sich mein Kalender wöchentlich mit Terminen füllt, verschwimmen in meinem Kopf die Tage und ich muss regelmäßig das Datum nachschauen. Wikipedia schreibt weiter: „Betroffen sind insbesondere Personen, die gut ausgebildet sind, erstmals in das Berufsleben einsteigen und den geschützten Raum der Universität endgültig verlassen. Dieser Übergang ist geprägt von Unsicherheiten, Zweifel und Orientierungslosigkeit, welche sogar zu einer Depression führen können. Auslöser der QLC sind fundamentale Veränderungen im Leben, wie z. B. der erste Job.“[2] Bei mir ist es zwar nicht der erste Job und dementsprechend bin ich keine Berufseinsteigerin, aber dennoch geht es auch bei mir gerade um große Veränderungen, wie zum Beispiel meinen (immer wahrscheinlicher werdenden, ggf. temporären) Ausstieg aus dem Wissenschaftsbetrieb. Die Unsicherheit, Zweifel sowie die Orientierungslosigkeit spüre ich deutlich, was dazu führt, dass ich sowohl meine eigenen Einstellungen, Prinzipien und Werte, als auch mein Umfeld mit anderen Augen betrachte und zum Teil hinterfrage. Das können Fragen sein wie: Was ist mir privat/beruflich im Leben eigentlich wirklich wichtig? Wie viel Stabilität brauche ich? Wie viel Unsicherheit kann ich aushalten? Welche Menschen sind mir besonders wichtig? Wie möchte ich zukünftig Freund*innenschaften führen? Wo möchte ich leben und wie? Welche Priorität hat ein Job für mich bezogen auf meine Selbstverwirklichung? All das sind Fragen, die man offensichtlich nicht mal eben in einem Tagebucheintrag oder in einer halben Stunde konzentriertem Nachdenken beantworten kann. Diese Antworten brauchen Zeit und daran wird auch ein unterschriebener Arbeitsvertrag nicht viel ändern. Trotzdem: die mentalen Belastungen, die auf mich zukommen werden, habe ich am Beginn meiner Arbeitslosigkeit maßlos unterschätzt. Obgleich ich mich eigentlich (!) nicht als besonders naiven Menschen betrachten würde, bin ich davon ausgegangen, dass die Suche nach einem neuen Job nicht so lange dauern wird – da ich mich schon sehr früh um Bewerbungen gekümmert hatte und meinem Sachbearbeiter bei der Arbeitsagentur eine sehr lange Liste vorlegen konnte. Jetzt sitze ich hier, vier Monate später, und kann nicht einmal mehr müde lächeln. Meine psychischen Ressourcen sind erschöpft – und nach einem Monat Lungenentzündung auch meine körperlichen. Der Umgang mit Bewerbenden, den Arbeitgebende an den Tag legen, ist meiner Meinung nach alles andere als respektvoll und angemessen. Mir kann niemand erzählen, dass eine E-Mail mit einer halbwegs nett formulierten Absage zu viel Arbeit ist – das muss auch zwischen Meetings, Telefonaten etc. drin sein. Die Bewerbenden liegen auch nicht den ganzen Tag auf der faulen Haut, sondern geben sich Mühe bei den Anschreiben, recherchieren stundenlang in Stellenbörsen, informieren sich über Gehaltsspannen und passen sich an immer wieder anders aufgebaute Bewerbungssysteme an. Zumindest eine E-Mail muss da von der anderen Seite kommen. Stattdessen habe ich regelmäßig gar keine oder nach Wochen bzw. Monaten einen halbherzig aneinander gebastelten Standard-Text erhalten, den ich nach ein, zwei Mails nur noch überflogen habe. In der ganzen Zeit, in der ich mich jetzt schon bewerbe, habe ich genau eine (!) Absage bekommen, die sehr freundlich und auf eine ehrliche Weise wertschätzend formuliert war – in diesem Fall habe ich sogar kurz überlegt, zurückzuschreiben, einfach weil ich dankbar war, dass sich offensichtlich jemand zur Abwechslung Gedanken gemacht hat.

Es ist aber nicht nur der Umgang mit Bewerbenden, der mein Gedankenkarussell antreibt. Bei jeder neuen Bewerbung stelle ich mir die immer gleichen Fragen: kann ich mir diesen Job wirklich vorstellen? Kann ich mir vorstellen, in dieser Stadt zu leben? Könnte ich anfangs pendeln? Wie teuer ist eine Durchschnittsmiete in dieser Stadt? Kann ich diese Miete mit dem gebotenen Gehalt bezahlen? Wie muss ich ggf. meine Gehaltsvorstellung anpassen, um die Miete bezahlen und gut leben zu können? Kenne ich in dieser Stadt schon jemanden? Muss ich mein soziales Umfeld für den Job verlassen und ist es mir das wert? Auch das: keine leichten Fragen. Dieses ganze Nachdenken, das Vorstellen des eigenen Lebens in Stadt XY, in Beruf XY, kostet – auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so scheinen mag – enorm viel Kraft. Manchmal habe ich abends auf meine To Do Liste geschaut und mich gefragt: was hast du eigentlich den ganzen Tag gemacht? Gearbeitet ja anscheinend nicht! Irrtum. Allein, dass ich mir diesen Vorwurf überhaupt gemacht habe und ab und zu noch mache, zeigt, dass ich die Belastungen noch immer nicht ganz ernst nehmen kann: denn, wenn ich den halben Tag damit verbracht habe, Bewerbungen zu schreiben und mich damit auseinanderzusetzen, ob ich diese Jobs ehrlich mit mir vereinbaren kann, dann habe ich gearbeitet – und einen großen Teil davon im Kopf.

Es ist auch nicht alles schlecht an dieser Phase: ich merke, dass das Hinterfragen Denkprozesse anstößt, die ich mir vor ein paar Monaten noch nicht hätte vorstellen können. Ich bin kritischer, aber vor allem ehrlicher mit mir geworden. Ich gestehe mir mehr und mehr Grenzen zu, sehe ein, wenn ein Tag anstrengend war und ich deswegen keinen Kopf für die Diss hatte und meine Bildschirmzeit in die Höhe schießt. Diese Grenzen habe ich zunehmend auch gegenüber meinen Betreuenden, Kolleg*innen und meinem privaten sozialen Umfeld kommuniziert. Ich habe, auch wenn das für die ehrgeizige Persönlichkeit, die ich nun mal bin (und vermutlich bleiben werde) hart war, verstanden, dass Fleiß und Kompetenz allein nicht alle Probleme lösen können und dass ich akzeptieren muss, gewisse Entscheidungen nicht beeinflussen zu können. Ich habe mich dabei beobachtet, wie ich mit unterschiedlichen Belastungen umgehe und auch, wenn mir nicht alles gefällt, versuche ich eine freundliche innere Kritikerin aufzubauen, die Mut zuspricht, anstatt herunterzuziehen. Ich möchte mich selbst nicht daran messen, wie „produktiv“ ich war, sondern an dem, was ich bewirke (das darf auch ganz klein sein) und wie ich mich dabei fühle. Aus diesem Gedanken heraus sind viele schöne Projekte entstanden – unter anderem mein Podcast „Sachgrundaktivismus“ – und viele tolle und interessante Gespräche mit Menschen, die ich vorher nur über Social Media „kannte“. Mir geht es nicht um Zahlen, um Shares oder Likes – sondern darum, dass ich Menschen erreiche, mich mit ihnen austauschen kann und wir uns gegenseitig unterstützen. Um den Bogen zurück zum Berufsleben zu schlagen: an diesem Punkt, also der solidarischen Unterstützung, ist die Wissenschaft noch nicht angekommen. Wenn die letzten vier Monate mir zusätzlich zu meinen zwei Jahren Berufserfahrung eins gezeigt haben, dann, dass mein Charakter, meine Persönlichkeit nur bedingt zum (deutschen) Wissenschaftssystem passt. Ja, ich bin ehrgeizig, an der Sache interessiert, schaue gerne über meinen Tellerrand hinaus und arbeite gerne mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Aber ich bin eben auch nicht gemacht für eine Konkurrenzkultur, die Informationen vorenthält, bewusst Barrieren aufbaut und das Verstecken vermeintlicher „Schwächen“ belohnt. In einem Vorstellungsgespräch vor ein paar Wochen wurde ich gefragt, was meine Stärken und Schwächen wären. Ich habe daraufhin geantwortet, dass ich – und das meine ich auch so – das Konzept der klaren Trennung von Stärken und Schwächen nicht für mich annehmen möchte. Es impliziert für mich, dass eine „Schwäche“ unveränderbar ist, dass man automatisch „einen Nachteil“ hat und im Extremfall „weniger Wert“ ist. In der Schulzeit wurde mir beispielsweise meine Schüchternheit als Schwäche ausgelegt. Wenn ich heute darauf zurückschaue, kann ich nur den Kopf schütteln. Ja, ich war zurückhaltend, oft in der Beobachterinnenrolle, aber nach den Gründen dafür hat erstens niemand gefragt und zweitens: ist es so schlimm, sich eine Situation erstmal anzuschauen, bevor man sich einmischt? Ist es wirklich eine Schwäche, sich eine Diskussion erstmal anzuhören, bevor man eine eigene Meinung äußert? Früher hätte ich wohl geantwortet, dass ich daran „ja arbeiten kann“ – heute denke ich: wieso muss ich mich verbiegen? Ich bin auch jetzt noch etwas zurückhaltender, wenn ich auf neue Menschen, neue Situationen oder Umgebungen treffe. Zwar mische ich mich heute deutlich schneller ein als zu Schulzeiten, aber ich sehe ehrlich gesagt Vorteile darin, Menschen/Situationen/Umgebungen erst einmal kurz auf sich wirken zu lassen, bevor man sich zum Beispiel ein Urteil bildet.

Zurück zur Wissenschaft: mit der Idee für den Podcast ist mir auch eine andere Erkenntnis gekommen, die ich vorher noch nicht so richtig in Worte fassen konnte. Wissenschaft ist nichts, was aus meiner Sicht einer bestimmten Gruppe an Menschen vorenthalten sein sollte, die dann irgendwann stolz irgendwelche Studien der Öffentlichkeit präsentiert. Ich möchte, dass Wissenschaft zugänglich ist für alle, dass sie Teilhabe ermöglicht insbesondere für marginalisierte Menschen, deren Perspektive in vielen Bereichen so eklatant fehlt. Wissenschaft muss nicht nur an Unis, an Forschungseinrichtungen oder in Think Tanks stattfinden – wieso nicht auch in Bars, auf Bühnen und in den Köpfen der abertausenden Menschen, die sich Radiosendungen, Fernsehshows oder Podcasts täglich anhören/anschauen? Natürlich ist mir klar, dass es bereits tolle Formate wie Poetry Slams oder Fernsehshows wie MaithinkX gibt – aber auch hier sind zum Teil exklusive Kreise involviert, die die Inhalte produzieren und dann nur noch präsentieren. Wissenschaft als Street Style – bunt, laut, kritisch und nicht auf Profit oder Erfolg ausgelegt. Selbst wenn ich – und danach sieht es aus – erstmal aus dem eigentlichen Wissenschaftsbetrieb aussteige: Wissenschaftlerin bleibe ich und es ist mir eine Herzensangelegenheit, die Inhalte, die mich bewegen, nach außen zu tragen und mit unterschiedlichen Menschen in den Austausch zu gehen. Zu einer klassischen Tagung würde ich ab und an dennoch nicht nein sagen.

Auch wenn sie oft medial verschrien wird: die Gen Z, zu der ich ebenfalls gehöre, hat es – auch angesichts der Weltlage – nicht leicht. Ich finde, das darf man anerkennen, ohne im gleichen Zug die Herausforderungen anderer Generationen zu übersehen. Eine Quarterlife Crisis ist vermutlich auch bei mir nicht nur die Konsequenz der Jobsuche, sondern genauso die Folge der vielen großen Themen, die in Zukunft noch auf meine Generation zukommen werden und der vielen Fragen, auf die wir noch keine Antworten haben. Liebe Gen Z, wir haben es wahrlich nicht leicht, aber wir geben unser Bestes – und auch wenn wir es manchmal nicht fühlen, dürfen wir öfter stolz auf uns sein.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Quarterlife_Crisis (27.02.2024)

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Quarterlife_Crisis (27.02.2024)

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