Meine größte Erkenntnis im Jahr 2024

Ich weiß, was ihr denkt. Das Jahr ist noch nicht einmal drei ganze Monate alt und sie hat schon eine „größte Erkenntnis“? Aber ich lege mich jetzt schon fest. Bislang lief mein 2024 für mich freundlich formuliert ziemlich beschissen, auch wenn ich gerne zugebe, dass ich auch an sehr schönen Dingen gearbeitet habe, wie zum Beispiel meinem eigenen Podcast oder einem Austauschabend für Promovierende und all die, die es werden möchten. Seit einem halben Jahr sieht jeder Tag anders aus und was für manche vielleicht schön, interessant, herausfordernd im positiven Sinne klingen mag, bringt mich zunehmend an das Ende meiner Ressourcen. Gestartet habe ich 2024 nicht etwa mit einer Reihe guter Vorsätze, die man dann nach spätestens zwei Wochen gepflegt ignorieren kann, sondern mit einer Lungenentzündung, die mich ganze vier Wochen ans Bett gefesselt hat. In dieser Zeit habe ich – und macht mir das BITTE nicht nach – zwei Bewerbungsgespräche geführt, nach Stellen gesucht und mir ein schlechtes Gewissen gemacht, weil die Diss nicht vorangeht. Nachdem meine Hausärztin mich sehr eindringlich vor jeglicher Anstrengung gewarnt hat, habe ich mich bis Mitte Februar konsequent geschont und anschließend schrittweise meinen Alltag wieder aufgenommen. Seitdem besteht meine „Routine“, wenn man es denn so bezeichnen möchte, aus Stellensuche, Bewerbungen schreiben, Mails beantworten und ein paar Aktivitäten zur Ablenkung (wie Podcast-Aufnahmen, Social Media und dem Lernen einer neuen Sprache). In regelmäßigen Abständen werde ich zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, was zu einem Kreislauf aus Bewerbung – Vorbereitung – Warten geführt hat. Seit Anfang des Jahres habe ich zwei Jobangebote abgelehnt (über eine dieser Ablehnungen habe ich hier schon ausführlicher geschrieben). Über diese Ablehnungen habe ich in den letzten Tagen und Wochen viel nachgedacht – nicht, weil ich mir irgendeine Art von Vorwürfen oder schlechtem Gewissen gemacht hätte, sondern weil ich in mich hineinhorchen wollte. Über das, was dabei herausgekommen ist, möchte ich in diesem Blogpost sprechen – oder schreiben.

Dieser Job oder keiner! – Das Märchen von der Alternativlosigkeit

Nach mehr als sechs Monaten Jobsuche wird man irgendwann mürbe. Bei Social Media sehe ich des Öfteren Posts von Kolleg*innen in ähnlichen Situationen, die schreiben „Wieder eine Absage. An diesem Punkt fühle ich gar nichts mehr.“ Auch ich habe einen solchen Post schon geschrieben. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das auch. Die meisten Absagen klicke ich nur noch weg, verschiebe sie in den Bewerbungsordner in meinem Postfach und denke nicht weiter darüber nach. Dass ich natürlich auch den ein oder anderen „mental breakdown“ hinter mir habe, will ich nicht verschweigen – das ist absolut menschlich! Gerade in Zeiten großer Frustration und hohen Drucks ist man schneller verleitet, bei Ausschreibungen nicht mehr ganz so genau zu sein und die eigenen Grenzen zu vernachlässigen. Insbesondere das Wissenschaftssytem ist sehr gut darin, Bewerbenden zu signalisieren, dass es diesen einen Job wirklich nur einmal gibt – sollte man nicht genommen werden oder gar ablehnen (Gott bewahre!) – dann hat man es wahrscheinlich einfach zu wenig „gewollt“. Diese von Grund auf toxische Haltung wird zum Glück immer öffentlicher angeprangert und diskutiert, weshalb auch ich mich schneller dabei erwische, wie ich gedankliche Verrenkungen mache, um den Erwartungen anderer eher zu entsprechen. Das hat schon zu tagelangem Hin- und Her-Überlegen und schlaflosen Stunden geführt, doch letztendlich bin ich glücklicherweise immer zu dem Entschluss gekommen, für mich einzustehen, auch wenn es unangenehm ist. Damit meine ich zweierlei Dinge: zum einen: transparente Kommunikation in Bewerbungsgesprächen. Mein Motto dabei: Karten auf den Tisch. Es hilft absolut niemandem, wenn ein Vorstellungsgespräch aus gegenseitigem Anlügen besteht – wenn ich gefragt werde, ob ich für eine Stelle quer durch Deutschland ziehen würde und ich ganz genau weiß, dass das Gehalt für die Miete in Stadt XY nicht reicht, was sage ich dann am besten NICHT? Genau: Ja. Beziehungsweise: Ich sage nicht einfach so „Ja, gar kein Problem!“, sondern spreche im besten Fall ehrlich an, dass mir das nicht so leicht möglich sein wird und habe idealerweise eine Alternative parat. Ich bin absolut der Meinung, dass Können über Privilegien stehen sollte – vor allem wenn es sich um Jobs handelt, bei denen zum Beispiel hybride Arbeitsformen oder Home Office kein Problem darstellen. Und wenn die „flexiblen Arbeitsmodelle“ dann auf einmal doch nicht mehr so flexibel sind, dann ist das schade, aber ich werde nicht für einen Job am Existenzminimum leben.

Gehaltsvorstellungen – klare Kalkulation statt Unterbietungswettbewerb

Wenn ich mich außerhalb des Tarifbereichs auf Stellen bewerbe, muss ich in der Regel auch eine Gehaltsvorstellung angeben. Anfangs ist mir das sehr schwer gefallen, weil ich mich an die mantraartigen Berufsinformationsveranstaltungen in der Schulzeit zurückerinnert habe, in denen Versicherungsvertreter*innen uns eingebläut haben, uns bloß nicht zu überschätzen! Nach einiger Überwindung (und ein bisschen Recherche bei einschlägigen Mietportalen) habe ich für mich einen anderen Weg gewählt: Meine Gehaltsvorstellung bilde ich mir auf Basis folgender Fragen: welche Qualifikation ist gefordert? Welche Kompetenzen bringe ich darüber hinaus mit und sind diese für den Job nützlich? Wie hoch ist die Durchschnittsmiete in Stadt XY? Erst zuletzt frage ich dann danach, wie hoch das Gehalt durchschnittlich in dem Bereich ist. Ich habe das erst vor kurzem bei Social Media geschrieben: ihr. Müsst. Von. Dem. Geld. Leben. können. So mit Miete, Internet, Lebensmitteln und so. Ich rechne das immer ganz klar durch und habe für mich eine persönliche Untergrenze festgelegt, die ich bei keiner Stelle, auf die ich mich bewerbe, unterschreite.

Wertschätzung fängt im Vorstellungsgespräch an

Meine Familie sagt mir inzwischen häufiger, dass sie es irgendwie bewundern, wie entspannt ich vor Bewerbungsgesprächen wirke. Bis kurz vor einem solchen Termin bin ich tatsächlich innerlich sehr gelassen, bis dann natürlicherweise der Adrenalinspiegel steigt. Auf solche Aussagen antworte ich meistens, dass nicht nur die Arbeitgeberseite etwas von mir möchte, sondern ich auch etwas von ihr. Denn ich bin zwar einerseits die potenzielle neue Fachkraft, die eine Aufgabe übernimmt und dafür bezahlt wird – aber andererseits verlange ich dafür (ganz abgesehen vom Geld) auch Wertschätzung, eine angenehme Atmosphäre und einen respektvollen Umgang. Meiner Meinung nach kann man hier im Vorstellungsgespräch schon einen guten Eindruck gewinnen. Von einem sehr herzlichen Empfang und einem Gespräch, das auf gegenseitigem Interesse beruhte, bis hin zu einem distanzierten „Interview“ war schon alles dabei. Bei Letzterem läuten bei mir direkt alle Alarmglocken und ich merke, wie es mich verstärkt Kraft kostet, offen und gesprächig zu bleiben. Dieser Eindruck ist völlig losgelöst von Gehaltsvorstellungen, Arbeitsbedingungen oder Aufgabengebieten und beruht ausschließlich auf dem Zwischenmenschlichen.

Auf das Bauchgefühl kommt es an!

Womit wir – Trommelwirbel – bei meiner Erkenntnis des Jahres wären, die, und jetzt bleibt bei mir, nicht ganz so unspektakulär ist, wie sie erstmal klingen mag. Nach unzähligen Bewerbungen, mehreren Vorstellungsgesprächen und zwei Absagen, die von mir ausgingen, habe ich mir nun schlussendlich eingestehen müssen, dass es das eine ist, von „Hör auf dein Bauchgefühl“ zu reden, aber etwas ganz anderes, das tatsächlich umzusetzen. Denn das erfordert, wie ich herausfinden durfte, ziemlich viel Mut. Wenn man nach fünf bzw. sechs Monaten Jobsuche schwarz auf weiß eine Zusage vor sich hat, dann ist es hart, sich aktiv dagegen zu entscheiden und sich damit zum Weitersuchen zu verpflichten. Denn das, was ich mir momentan am meisten wünschen würde, ist, dass diese elende Suche endlich vorbei ist. Was mir, unter anderem durch die beiden Absagen aber auch noch einmal sehr klar geworden ist, ist, dass ich nicht auf Teufel komm raus irgendeinen Job machen möchte (wenn ihr jetzt „Privilegien!“ schreit, i hear you). Ich habe inzwischen so viel Lebenszeit in die Jobsuche investiert, die nicht damit enden soll, dass ich eine Beschäftigung antrete, die mich unglücklich macht – dafür habe ich diesen ganzen Mist nicht durchgestanden. Mein Bauchgefühl ist inzwischen meine engste Vertraue geworden – in Bewerbungsgesprächen kann ich hinterher eigentlich immer sofort sagen, ob ich mir diesen Job vorstellen kann oder nicht. Auch wenn mein Kopf alles gibt, um mir auch die beschissenste Tätigkeit als die Rettung all meiner Probleme zu verkaufen – mein Bauchgefühl kämpft wacker dagegen an und geht letztendlich immer als Siegerin aus dem Duell hervor. Wenn ich Familienmitglieder nach einem Bewerbungsgespräch anrufe, ist die erste Frage, die kommt: „Und?“ – und wenn meine Antwort dann ist „Nee, das ist es nicht“, dann steht das nicht weiter zur Diskussion.

Wenn ich eines in diesen drei Monaten, die 2024 jung ist, gelernt habe, dann, dass hinter dem Satz „Hör auf dein Bauchgefühl“ deutlich mehr steckt als der auf den ersten Blick vage Kalenderspruch, der bereit ist, auf Tassen und Postkarten gedruckt zu werden. Auf das eigene Bauchgefühl zu hören bedeutet, dem eigenen Urteilsvermögen tiefgehend zu vertrauen und schonungslos ehrlich mit sich sein zu können. Das bedeutet nicht, dass man diesen Prozess allein mit sich selbst durchstehen muss – ich hatte und habe das Glück, immer mit Menschen in den Austausch gehen zu können und mir von Familie, Freund*innen und Kolleg*innen Rat einholen zu können. Doch letztendlich läuft es trotzdem darauf hinaus, dass ich entscheiden muss und in diesem Entscheiden bin ich 2024 definitiv deutlich bewusster geworden.

Was ich zum Schluss noch loswerden möchte: „Bauchgefühl“ bedeutet für mich persönlich nicht, jegliche Rationalität über Bord zu werfen. Ich entscheide mich nicht für oder gegen etwas rein auf Basis eines vagen Gefühls, sondern auch auf Basis von Fakten. Mit „Bauchgefühl“ meine ich vielmehr das Stadium, in dem alle Eindrücke gesammelt wurden und alle Fakten auf dem Tisch liegen und eine Entscheidung gefällt werden muss – jetzt kommt es darauf an, sich zu fragen: was möchte ICH eigentlich? Auf sich selbst zu vertrauen und sich auch einzugestehen, wenn ein Angebot sich anders herausgestellt hat, als man es anfangs eingeschätzt hat. Dann die Bremse zu ziehen, Grenzen abzustecken und für sich einzustehen. Im ersten Moment kann das bedeuten, dass es sich „richtig anfühlt“, aber glaubt mir, dafür wird es gute Gründe geben.

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